Längere Erkrankungen bringen für die meisten nicht nur die gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit sich. Für die Betroffenen tut sich schon bald eine Existenzkrise auf. Neben finanziellen Einbußen droht auch der Verlust des Arbeitsplatzes. Während größere Betriebe auch längere Erkrankungen einzelner Mitarbeiter noch verkraften können, so stürzt eine solche Situation kleinere Unternehmen schnell in Engpässe, die personell schwer zu kompensieren sind. In der Not wird die Kündigung ausgesprochen, um die Stelle schnellstmöglich nachbesetzen zu können.
Pflicht zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
Was Kleinunternehmer und Arbeitnehmer häufig nicht wissen ist, dass in der Regel alle Arbeitgeber mit mehr als zehn Mitarbeitern1 gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX i. V. m. § 1 Abs. 2 KSchG zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) verpflichtet sind. Unternehmen ab 20 Mitarbeitern sind da meist relativ gut aufgestellt wie eine Befragung von Betriebsräten ergab. Kein Wunder. Qualifizierte Personalsachbearbeiter können auf ihr Wissen zurückgreifen und entsprechend gesetzlicher Regelungen agieren. Außerdem sind hier die Betriebsräte mit in die Entscheidungen einzubeziehen, die sich ihrerseits für die Interessenvertretung der Mitarbeiter stark machen.
Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es, bei kranken Mitarbeitern die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen, bei wieder arbeitsfähigen Mitarbeitern die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, und generell Arbeitsplatz zu sichern. Gerade kleine Unternehmen haben hier Beratungs- und Nachholbedarf.
Kündigung ohne BEM
Das BEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung, und es drohen auch keine Sanktionen wenn es fehlt, doch es konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soweit dies nach dem Kündigungsschutzgesetz erforderlich ist 1. Kann vor Gericht nicht der Beweis erbracht werden, dass ein BEM objektiv nutzlos gewesen wäre und möglicherweise ein milderes Mittel ergeben hätte, muss sich der Arbeitgeber vor Gericht vorhalten lassen, vorschnell die Kündigung ausgesprochen zu haben. Z. B. das Urteil in letzter Instanz des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 10.12.2015 – Az.: 5 Sa 168/15
Erst wenn unter Einbeziehung aller Beteiligten – Arbeitgeber, Mitarbeiter, BEM-Verantwortliche, Betriebsräte, Arbeitsmediziner, Integrationsamt usw. kein Erfolg zu erwarten ist, kann eine gesundheitsbedingte Kündigung ausgesprochen werden.
Es fehlen klare Vorgaben
Was das BEM auch komplex macht, ist der Umstand, dass der Ablauf und die Anforderungen nicht vollständig klar definiert sind. Der Mitarbeiter ist vor der Maßnahme umfassend zu informieren und es muss sein Einverständnis eingeholt werden. Es hat dann ein „organisierter Suchprozess“2 zu erfolgen, bei dem es darum geht, geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu finden. Wird die Zustimmung jedoch verweigert, ist die Eingliederungs-Maßnahme schon beendet, ehe sie wirklich beginnen konnte.
1 Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt nicht für alle Arbeitnehmer. Der § 23 schränkt den Geltungsbereich ein. Unter anderem findet der § 1 des KSchG, der die sozial ungerechtfertigte Kündigung thematisiert, keine Anwendung bei:
- Betrieben, die fünf oder weniger Mitarbeiter beschäftigen. Mitarbeiter, deren Beschäftigungsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, werden bis zur Gesamtzahl von zehn Mitarbeitern hier nicht mitgerechnet.
- Betrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern auf die Mitarbeiter, deren Beschäftigungsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat.
Bei der Berechnung der Anzahl der Beschäftigten bleiben die Auszubildenden unberücksichtigt. Teilzeitbeschäftigte mit nicht mehr als 20 Stunden sind mit 0,5 und mit nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
2 Arbeitsgericht Berlin Urteil vom 16.10.2015 – 28 Ca 9065/15