Wo endet die Verantwortung der Gesellschaft und wo beginnt die individuelle Verantwortung? Man sollte meinen, dass eine Gesellschaft darauf bedacht ist, das zu schützen und zu erhalten, das ihren Erhalt und ihr Vorankommen ermöglicht. Würde dann eine ideale Gesellschaft sich nicht das Wohlergehen von Polizei, Feuerwehr, sozialen Berufen, Bildungsberufen, Heil- und Pflegeberufen zu einer der wichtigsten Aufgaben machen müssen? Doch das Gegenteil scheint heute der Fall zu sein. Gerade diese Berufe sind überdurchschnittlich von Kürzungen betroffen und damit geht eine deutliche Mehrbelastung der Menschen in diesen Berufen einher.
Doch damit nicht genug. Auch das häufig aus der Überforderung resultierende Risiko, berufsunfähig zu werden, wurde individualisiert. Gegen finanzielle Einbußen schützt nur noch eine private Berufsunfähigkeitsversicherung.
Eine große Hürde auf dem Weg zur Berufsunfähigkeitsversicherung stellt häufig die Berufsgruppe dar. Je höher das statistische Risiko ist, dass jemand berufsunfähig wird, desto besser die Berufsgruppe. Ein kaufmännischer Angestellter, dessen Risiko, berufsunfähig zu werden, geringer als im Durchschnitt ist, kommt in eine bessere Berufsgruppe und erhält den vollen Versicherungsschutz zu vergleichsweise günstigen Beiträgen. Berufe, die mit einem statistisch höheren Risiko behaftet sind – und diesen mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in Anspruch nehmen müssen – Dachdecker, Lehrer, Pflegekräfte etc., müssen dagegen mit Leistungsausschlüssen, verkürzten Laufzeiten und höheren Beitragszahlungen rechnen. Die Tatsache, dass diese Berufe häufig auch geringer entlohnt werden, führt für manche dazu, dass der so wichtige Versicherungsschutz fast unerschwinglich wird.
Die Individualisierung dieses Risikos hat zur Folge, dass ausgerechnet diejenigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal darauf angewiesen sein werden, dieses Risiko aus eigener Kraft nicht absichern können. Durchschnittlich ist jeder Fünfte in Laufe seiner Erwerbstätigkeit von einer Berufsunfähigkeit betroffen. Bei Pflegekräften trifft es dagegen etwa jeden Dritten.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich manche nicht zum Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung durchringen können. Es trifft aber gerade die Berufe, die einen ungeheuren gesellschaftlichen Mehrwert generieren: Bildung, Soziales, Pflege. Durch die fehlenden privaten Absicherungen wird der Schadensfall dann doch zur gesellschaftlichen Aufgabe und der ehemalige Helfer zum Bittsteller.
Verbraucherschützer fordern daher schon lange eine gesetzliche Absicherung gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit. Beispielsweise analog zur Krankenversicherung könnte durch den Wechsel zu einer Pflichtversicherung das Risiko auf deutlich mehr Schultern verteilt werden. Letztendendes ist und bleibt es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die durch die private Versicherungswirtschaft bisher nur unzureichend gelöst ist.
Die private Versicherung sollte wieder einen Schritt zurück gehen, und die mittlerweile diskriminierenden Berufsgruppen abschaffen oder deren Anzahl verringern. Dann können auch diese Berufsgruppen sich Schutz leisten. Die bei Versicherern beliebten Kammerberufe (Anwälte, Steuerberater etc.) dürfen dann wieder mehr zahlen. Sie können es sich i.d.R. auch eher leisten. Aber es bleibt sicher nur ein Wunsch.
Der gesellschaftliche Druck auf Politik und Versicherungswirtschaft nimmt zu. Bisher war es doch immer so, dass spätestens, wenn der Druck zu eskalieren droht, eine Regelung erfolt. Es wäre nicht das erste mal, dass z. B. ein Wirtschaftssektor mit einer art „freiwilligen Selbstverpflichtung“ versucht einer staatlichen Regelung entgegenzuwirken. Es wäre aber auch nicht das erste mal, dass dies nicht funktioniert und dann doch der Staat eine Lösung strickt – mit Beratung von Fachleuten aus der Branche versteht sich 😉 … Wir dürfen gespannt sein.
„Es trifft aber gerade die Berufe, die einen ungeheuren gesellschaftlichen Mehrwert generieren: Bildung, Soziales, Pflege.“
Da bin ich absolut Ihrer Meinung! Schon so lange versuche ich, dass meinen Kollegen im Pflegeheim zu erklären und niemand möchte hören. Ich werde Ihnen diesen Beitrag hier empfehlen. Danke dafür! LG Johanna