Die Berufsunfähigkeitsversicherung in der betrieblichen Altersvorsorge
Vorteile, Nachteile, und vor allem Risiken.
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) über die betriebliche Altersvorsorge (bAV) abzuschließen, stand lange Zeit für günstige Konditionen, arbeitnehmerfreundliche Kosten und deutlich vereinfachte Gesundheitsfragen. Insbesondere letzteres bedeutet gegenüber der Selbstständigen BU einen klaren Vorteil, reduziert man so bereits im Vorfeld das Risiko einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Das private selbstständige Pendant zur BU in der bAV findet auf Grund der Häufung ebenjener vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungen seit geraumer Zeit immer wieder kritische Erwähnungen in Medien und Presse.[1]
Soweit zu den Vorteilen. Dennoch, Nachteile und Risiken, für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sind zwar erst auf den zweiten Blick sichtbar, dafür umso gravierender. Die Achillesferse dieser Versicherung findet man dann hinter ihrer vermeintlichen Stärke, dem Abschluss durch den Arbeitgeber. Denn hier werden nicht etwa wie im Fall einer privaten Versicherung, Verträge zwischen Versicherer und Endkunde geschlossen, sondern ein Dritter ist hier eigentlicher Vertragspartner des Versicherers. Durch besondere Kollektivvertragsbedingungen für Arbeitgeber kann die Versicherung dann zwar deutlich günstiger sein, bekommt aber auch eben durch ihr besonderes Zustandekommen einige interessante Tücken.
Daher sollte man sich folgende Fragen vorab stellen:
Was geschieht im Leistungsfall?
Im Leistungsfall muss der Arbeitnehmer (AN) ein Produkt in Anspruch nehmen, das sein Arbeitgeber (AG) für ihn abgeschlossen hat. Reicht ein Arbeitnehmer einen Antrag auf BU ein, so kann das mehrere mögliche Szenarien bedeuten:
– Der Arbeitnehmer ist berufsunfähig und fällt für eine bestimmte Zeit aus. Sobald er genesen ist, kehrt er wieder an seinen Arbeitsplatz zurück.
– Der Arbeitnehmer ist BU und kann durch eine betriebliche Eingliederungsmaßnahme schrittweise an seinen Arbeitsplatz zurückgeführt werden.
– Der Arbeitgeber stellt den Antrag, der Gesundheitszustand verbessert sich jedoch merklich und die BU wird nicht weiter benötigt. In diesem Fall wird der Antrag fallen gelassen und der AN übt weiter seine Tätigkeit aus.
– Der Arbeitnehmer stellt den Antrag, dieser wird jedoch abgelehnt. Aktuell geschieht das bei jedem vierten Antrag[2]
Eines gilt jedoch für alle diese Szenarien, ebenso wie für jede andere denkbare Möglichkeit:
Der Arbeitgeber wird durch seinen Vertragspartner, die Versicherung, zumindest darüber informiert, dass sein Angestellter potentiell berufsunfähig ist. Und oft informiert der Versicherer seinen Vertragspartner noch weit darüber hinaus:
Kennt der Arbeitgeber dann die Diagnose?
Viele Versicherer senden im Leistungsfall erste Dokumente und Fragebögen an ihren Vertragspartner, den Arbeitgeber. So erfährt der Arbeitgeber nicht nur generell über den Antrag auf Leistung aus der BU, sondern oft werden hier durch die Form der Mitwirkung Möglichkeiten für zweifelhafte Einflussnahmen auf das weitere Verfahren geschaffen. Dies geschieht indem der Arbeitgeber beispielsweise subjektive und medizinisch nicht qualifizierte Einschätzungen formulieren kann. Möchte der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen, kann dieser bereits hier durch seine Einschätzung deutlich dazu beitragen. Darüber hinaus können sich auch für Geschäftspartner und Mitarbeiter in leitenden Positionen besondere Schwierigkeiten ergeben. Sollte einer dieser Mitarbeiter berufsunfähig werden und die BU in der bAV in Anspruch nehmen, könnte dies drastische Auswirkungen auf das Verhältnis innerhalb der Führungsebene mit sich bringen, da möglicherweise vertrauliche Informationen an Konkurrenten innerhalb der Firma gelangen. Diese Informationen könnten dann zum Nachteil der erkrankten Person instrumentalisiert werden und ganze Karrieren gefährden. Wie dieser Schriftverkehr zwischen Versicherer und Arbeitgeber aussehen kann, zeigen die angefügten Ausschnitte:
Fest steht, dass die mögliche Befangenheit des Arbeitgebers und die Auswirkungen seiner laienhaften Einschätzungen über den medizinischen Zustand des Arbeitnehmers und Antragstellers schlichtweg nicht zulässig sind.
Denn, wie steht es eigentlich um den Datenschutz?
Wer hier an einen Einzelfall denkt, liegt falsch, denn diese Praxis ist unter den Versicherungen nicht unüblich, gleichwohl an dieser Stelle die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz wenig Beachtung finden. Denn es bleibt nach § 32 BDSG die Frage offen, in wie weit der Versicherer die hier festgeschriebene Einwilligung zur Datenerhebung und Verarbeitung eingeholt hat. Nur unter vorheriger Einholung dieser Einwilligung dürfen sich Versicherer und Arbeitgeber überhaupt über die sensiblen Daten der Arbeitnehmer austauschen. Darüber hinaus besagt §203 StGB, dass über eine Erkrankung keinerlei Informationen weiter gegeben werden dürfen, es sei denn, eine Schweigepflichtentbindung liegt vor. Ganz besonders gilt dies für Personen mit Aufgaben und Befugnissen der Personalvertretung. Hier bleibt die gerechtfertigte Frage an die Versicherer:
Wurden diese Schweigepflichtentbindungen überhaupt im Vorfeld eingeholt? Falls ja, in welcher Form? Wurde der Kunde ausreichend über seine Rechte informiert und explizit auf die Konsequenzen hingewiesen?
Doch nicht nur als Arbeitnehmer gilt es bei der BU in der bAV genauer hinzusehen:
Welche Risiken birgt die BU in der bAV für Arbeitgeber?
Der Vertragspartner der Versicherung ist der Arbeitgeber. Dieser haftet nicht nur für etwaige Unterlassungen in Fragen des Datenschutzes. Auch im Fall der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht trifft den Arbeitgeber zumindest eine Teilschuld.
So informiert auf ihrer Website beispielsweise bereits die Industrie und Handelskammer Nürnberg über die Frage der Arbeitgeberhaftung in der betrieblichen Altersversorgung: „Der Gesetzgeber hat hier in § 1 Abs. 1 S. 3 des Betriebsrentengesetzes die Frage eindeutig geklärt: Der Arbeitgeber steht für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann ein, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Diese Regelung gilt auch für die Zusage von Invaliditätsleistungen.“[3]
Hier gilt: Der Arbeitnehmer hat gegenüber dem Arbeitnehmer beim Abschluss der BU in der bAV eine feste Zusage auf Leistung vorgenommen. Sollte der AN im Leistungsfall eine Absage erhalten, kann dieser Leistungen gerichtlich vom AG einklagen. So bleibt für den Arbeitgeber die Frage, ob und in wieweit er sich gegen dieses Risiko absichern kann, oder ob er schlichtweg auf die BU in der bAV verzichtet.
Was passiert mit der BU bei einem Arbeitgeberwechsel?
Auch diese Frage wurde bereits häufig diskutiert. Der durchschnittliche Bürger in Deutschland wechselt in seiner Biografie bis zu fünf Mal seinen Arbeitgeber.[4] Ein Überblick über die Schwierigkeiten beim Wechsel des Arbeitgebers:
- Der neue Arbeitgeber möchte das Produkt BU in der bAV nicht anbieten
- Der neue Arbeitgeber bietet ein Produkt eines anderen Versicherers an
- Der Vertrag muss eventuell privat weitergeführt werden, die Gruppenkonditionen werden dabei evtl. aufgegeben, der Vertrag wird teurer
Was können Versicherte daraus schließen?
Auf jeden Fall sollten sich Versicherte, die eine BU in der bAV besitzen, bei der jeweiligen Versicherung darüber informieren, in welchem Umfang der Versicherer Informationen an den Arbeitgeber weiterleitet. Ebenso wie es darauf zu achten gilt, ob und in welcher Form beim Abschluss eine Schweigepflichtentbindung und eine Datenschutzerklärung vorgelegt wurde. Hinzu kommt, die Gefahr bei einer Arbeitsunfähigkeit über den Zeitraum der Lohnfortzahlung hinaus. Hier sollte der Betroffene sich informieren, wie die BU Beitragszahlungen nach dem Wegfall seines Lohnes weiter bedient werden. Sonst droht hier der Verlust des BU Schutzes und im Zweifel die Kündigung der Versicherung.
Für BU in der bAV Interessenten ist es ratsam, die Vor- und Nachteile einer BU in der bAV und einer privaten, selbstständigen BU gründlich abzuwägen. Im Leistungsfall wiegt die Möglichkeit einer Rückkehr an den Arbeitsplatz und vor allem der Schutz privater und sensibler Daten eventuell mehr als mögliche finanzielle Vorteile.
Tipp: Für alle Fragen rund um das Thema können Arbeitnehmer sich vertrauensvoll auch an ihren (falls vorhanden) Betriebsrat wenden. Oft ist es hier interessant zu erfahren, in welchem Umfang der Betriebsrat über diese Vorgänge bereits bzw. überhaupt informiert ist.
[1] Vgl. AssCompact, 09|15, S. 16
[2]Vgl. http://www.handelsblatt.com/finanzen/vorsorge/versicherung/mehr-als-jeder-vierte-antrag-wird-abgelehnt-versicherer-verweigern-oft-private-invalidenrente/2332158.html, Stand: 30.11.15
[3]Vgl. https://www.ihk-nuernberg.de/de/IHK-Magazin-WiM/WiM-Archiv/WIM-Daten/2009-06/Special/Finanzierung-Versicherungen/Unternehmen-in-der-Haftungsfalle-.jsp, Stand: 30.11.15
[4]Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/28914/umfrage/haeufigkeit-der-arbeitsplatzwechsel/, Stand: 30.11.15